Ein Kommentar von Alexander Fischbach

Der Rechtsstaat lebt von Vertrauen – nicht von Inszenierung. Doch was wir derzeit erleben, ist ein fragwürdiger Aktionismus, der an die Substanz unserer liberalen Ordnung geht. Bundesweite Razzien gegen sogenannte Hasskriminalität – durchgeführt an einem eigens erklärten „Aktionstag“ produzieren Schlagzeilen. Doch sie werfen vor allem eine Frage auf, die in einer Demokratie existenziell ist: Dürfen Gedanken kriminalisiert werden?Das ganze findet auch noch an George Orwells Geburtstag statt.
Der Staat marschiert in Wohnungen ein, weil sich Menschen im Internet geäußert haben. In vielen Fällen geht es um Posts, die weder zur Gewalt aufrufen, noch juristisch zweifelsfrei unter den Tatbestand der Volksverhetzung fallen. Vielmehr handelt es sich um Meinungen – zum Teil ungehobelt, manche unschön, möglicherweise verachtend, aber die meisten sind schlicht kritisch und sehr überspitzt. In einem freien Diskurs ist das legitim und ein besonders schützenswertes Gut des Grundgesetzes.
Strafrechtliche Maßnahmen statt politischer Dialog?
Der deutsche Staat scheint sich daran zu gewöhnen, mit Maßnahmen des Strafrechts auf gesellschaftliche Spannungen zu reagieren, wo politische Auseinandersetzung gefragt wäre. Diese wird zunehmend vermieden. Diese Entwicklung ist gefährlich. Sie unterminiert den Grundsatz, dass die Gedanken frei sind – ein Prinzip, das nicht nur poetisch verklärt in Liedern beschworen wird, sondern konstitutionell verankert ist.
Die Vorstellung, dass Ermittlungsbehörden Wohnungen stürmen, um wegen Postings in sozialen Netzwerken Beweismaterial zu sichern, erinnert fatal an Systeme, in denen nicht die Tat zählt, sondern das Denken selbst verdächtig ist. Deutschland selbst hatte bereits zwei davon. Man muss kein Freund dumpfer Netzrhetorik sein, um festzustellen: Das Mittel steht in keinem angemessenen Verhältnis zur angenommenen Gefahr.
Razzien als PR-Stunt
Hinzu kommt der seltsame Charakter dieser Aktionstage. Strafverfolgung wird zur PR-Kampagne – zum Beweis politischer Entschlossenheit, nicht zur nüchternen Umsetzung von Recht. Das Strafrecht ist jedoch kein Instrument zur moralischen Pädagogik, sondern ein scharfes Schwert. Es sollte dort geführt werden, wo es wirklich notwendig ist – nicht als Demonstration. Dieses tun eigentlich nur die berühmt gescholtenen Populisten und Diktatoren.
Gerade in einem Land, das sich seiner Geschichte so bewusst sein sollte wie die Bundesrepublik, müsste das Verhältnis zur Meinungsfreiheit besonders sensibel sein. Doch der Raum für Widerspruch, Provokation und auch Unsinn schrumpft, wenn Strafrecht immer schneller und sichtbarer dazu genutzt wird, Äußerungen zu kriminalisieren, Dinge, die gestern noch unter „Geschmacklosigkeit“ fielen, heute aber „gefährlich“ genannt werden.
Trumps Mann fürs Grobe hat Recht
Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet der amerikanische Außenminister JD Vance – selbst politisch nicht unproblematisch – in Deutschland eine Bedrohung der freien Debatte erkennt. Man muss ihm nicht in allem folgen. Doch seine Sorge, Europa verliere die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Unbequemen, trifft ins Mark.
Eine liberale Gesellschaft lebt davon, dass sie die Zumutungen der Meinungsfreiheit aushält. Sie muss sie nicht gutheißen, nicht beklatschen – aber sie muss sie verteidigen. Nicht zuletzt deshalb, weil man nie weiß, wann die eigene Meinung zur falschen werden könnte.
Strafrechtliche Maßnahmen statt politischer Dialog?
Es steht einem liberalen Rechtsstaat schlicht nicht zu, mit schwammigen Begriffen wie Hass und Hetze auf juristischer Ebene zu arbeiten. Es geht hier vornehmlich um Kritik, und nicht um Kriminalität. Für Kriminalität an sich, wie Mordaufrufe, oder Aufrufe zu Terror gibt es bereits genug Paragrafen. Und hier zeigt sich leider sehr oft, dass die Justiz sich in diesen Fällen extrem tolerant zeigt. Daher ist es an uns Bürgern, den Zustand der Verhältnismäßigkeit zwischen Kritik, Kriminalität und Verhältnismäßigkeit bei Exekutive und Judikativorganen wieder herzustellen.
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